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Wie kauft man eine Buchhandlung?

... hat Melanie Hofinger im Internet recherchiert, als sie vor fünf Jahren erfahren hat, dass ihr Arbeitgeber zusperrt.

12 Min.

© Mathias Lauringer

„Probier’s einfach!“, hat ihr Vater gemeint. Diesen Rat hat die damals 25-jährige Pichlingerin befolgt und zugeschlagen. Heute betreibt sie unter dem Namen „Meritas by Melanie Hofinger“ sieben Buch- und Spielwarenläden und versorgt die Menschen in den Regionen mit Lesestoff und mehr.  

„Melanie Hofinger eröffnet eine Buchhandlung in der solarCity“, „Melanie Hofinger übernimmt die Traditionsbuchhandlung Neugebauer in Linz“, „Trotz Pandemie eröffnet Melanie Hofinger Buchläden in Lambach und im Donauzentrum Mauthausen“ – die vergangenen fünf Jahre waren von Schlagzeilen wie diesen geprägt. Wie tickt nun die Frau, die mit 30 Jahren sieben Buch- und Spielwarenläden betreibt und von der Mitarbeiterin zur Chefin eines 35-köpfigen Teams avanciert ist, wollen wir wissen. Einen kleinen Eindruck bekommen wir bei unserem Interview-
termin in ihrem Buchfachgeschäft im Donaupark Mauthausen. Hier hat Klasse vor Masse Vorrang, das kreativ gestaltete Geschäft ist das Werk von Melanie Hofinger und ihrem Papa, hier erfahren wir, dass die fesche Blondine, deren Markenzeichen die Farbe Gelb ist, als Kind davon geträumt hat, Bundespräsidentin zu werden.

Frau Hofinger, welches Buch lesen Sie gerade? 
„Wilde Jagd“ von René Freund. Das Buch ist sehr empfehlenswert. René Freund ist nicht nur ein regionaler Autor, er schreibt mit Witz und Humor, nimmt aber auch immer das mit, was die Gesellschaft gerade bewegt. Darum mag ich ihn als Autor generell sehr. 

Wo sind Sie aufgewachsen?
Ich bin in Linz aufgewachsen, habe aber einen Großteil meiner Kindheit in den Sommerferien bei meinen Großeltern in Zell an der Pram im Innviertel verbracht. Daher bin in wahrscheinlich eher ländlich orientiert und fühle mich in einer Großstadt nicht so wohl. Jetzt wohne ich in Pichling bei Linz.

Sie haben ein Jusstudium begonnen und anschließend als Commercial Manager bei Ikea gearbeitet, was hat Sie schließlich in den Buchhandel geführt?
Das habe ich wohl meiner Sales Managerin bei Ikea zu verdanken. Sie hat bei einer Weihnachtsfeier zu mir gesagt: „Also Melanie, entweder wartest du vier, fünf Jahre, bis du in die nächste Position kommst, oder du gehst und kommst in zwei Jahren wieder.“ Genau das war mein Plan, nur dass ich halt nicht mehr zurückgekommen bin. Ich habe mich bei der Veritas Buchhandlung in Linz beworben und bin als Verkaufsleiterin angestellt worden. Ein Jahr später hat es geheißen, dass das Geschäft zusperrt. Damals ist bei mir im privaten Umfeld einiges passiert und die einzige Konstante in meinem Leben war die Arbeit. Da habe ich mir gedacht: „Diese Arbeit nimmt mir keiner, ich probier’s einfach und kaufe das Geschäft.“  

© Melanie Hofinger

Wie lange hat es gedauert, bis die Entscheidung gefallen ist?
Das ist relativ schnell gegangen. Ich war mit einer Freundin auf den Philippinen, als ich einen Anruf bekommen habe, dass die Buchhandlung zusperrt. In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Bereits am nächsten Tag habe ich im Internet recherchiert, wie man eine Buchhandlung kaufen kann (lacht). Als ich ein paar Tage später wieder nach Hause gekommen bin, habe ich die damalige Geschäftsführung über meine Pläne informiert. Innerhalb eines Monats haben wir dann den Kauf abgewickelt und zwei Monate später habe ich eröffnet. 

Hatten Sie davor eine besondere Affinität zu Büchern?
Nein, überhaupt nicht. Nachdem mein ehemaliger Deutschprofessor in der Zeitung gelesen hat, dass ich eine Buchhandlung eröffnet habe, rief er mich an und sagte, dass er sich nie im Leben gedacht hätte, dass ich einmal im Buchhandel landen werde. Und ehrlich gesagt, waren es anfangs nicht so sehr die Branche oder die Bücher, die mich begeistert haben, sondern die Menschen, die da wirken. Ich habe aber schnell erkannt, dass Bücher ein Bildungsinstrument sind und in der Gesellschaft etwas bewegen können. Außerdem ist es extrem wichtig, dass stationäre und vor allem unabhängige Buchläden erhalten bleiben.

Was meinen Sie mit unabhängigen Buchläden?
Wir kaufen die Bücher unabhängig ein und sind nicht von einem bestimmten Verlag abhängig. Jedes Buch, das wir gelesen haben, verkaufen wir mit gutem Gewissen. Das ist vor allem auch im Fachbereich sehr wichtig. Große Händler kaufen zu besten Konditionen ein und legen zum Beispiel 50 Bücher auf. Die Kunden nehmen an, dass es sich um gute Bücher handelt. Die Frage ist, ob das wirklich der Fall ist und da hat man als Buchhändler schon einen riesengroßen Auftrag. Wir machen bei „Meritas“ viel Recherchearbeit und fragen uns, ob wir als Team zu dem stehen können, was in den Büchern steht, die wir anbieten.

Was hat Ihre Familie bzw. Ihr näheres Umfeld dazu gesagt, dass Sie eine Buchhandlung kaufen?
Bezeichnend war die Reaktion von meinem Papa. Er war sehr positiv überrascht und hat gemeint, probier‘s einfach! Der Rest meiner großen Familie, ich habe rund 30 Cousins und Cousinen, war eher skeptisch und viele meinten, dass es schwierig ist, sich im Handel selbstständig zu machen. Aber das hat mich nicht berührt. Ich dachte mir: „Was kann ich schon verlieren?“

Denken Sie heute mit sieben Standorten und 35 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen noch immer so? 
Natürlich ist mir klar, dass ich gegenüber meinen Mitarbeitern, den Geschäftspartner und den Kunden eine große Verantwortung habe. Aber grundsätzlich sind wir da wieder beim ersten Impuls, denn, was habe ich zu verlieren? Der Worst Case wäre eine Insolvenz. Sicher wäre das schlimm, aber dann habe ich die Gewissheit, es zumindest probiert zu haben. Leider haben wir in Österreich keine Kultur des Scheiterns, das ist in Amerika ganz anders. Da probiert man es immer wieder und es wird von der Gesellschaft akzeptiert. In Österreich muss man schon sehr viel Mut und Selbstvertrauen haben, dass man dem, was die Leute in so einem Fall reden, kein Gehör schenkt. 

© Mathias Lauringer

Aktuell betreiben Sie sieben Buch- und Spielwarenhandlungen. Warum dieser rasante Expansionskurs, wo viele Geschäfte im stationären Handel zusperren? 
Es ist wichtig, im näheren Umfeld Buchhandlungen zu haben, weil sie die Gesellschaft bereichern. Egal, ob beim Buch oder bei den Spielwaren soll es eine gute Beratung geben. Gerade in Zeiten, in denen viel von Ökologie und Nachhaltigkeit gesprochen wird, sollen Bücher und Spielwaren nachhaltig und vor allem pädagogisch hochwertig sein. Alles, was mit Spielen und Lesen zu tun hat, prägt unsere Kinder und sie sind schließlich unsere Zukunft. Es darf nicht nur ums Geldscheffeln gehen, als Eigentümerin und Geschäftsführerin geht es mir um Wertschätzung den Mitarbeitern, den Kunden und der Gesellschaft gegenüber. 

Zwei Jahre nachdem Sie Ihr Business eröffnet haben, kam Corona mit sämtlichen Einschränkungen. Was geht Ihnen heute durch den Kopf, wenn Sie an diese Zeit zurückdenken?
Wie die meisten Menschen haben wir anfangs einfach nur funktioniert und geschaut, es irgendwie zu schaffen. Vieles war von Unsicherheit geprägt, aber wir sind den gegenteiligen Weg gegangen, haben im Jahr 2020 dreimal expandiert und waren schockiert, als dann weiter Lockdowns kamen. Im Team haben wir überlegt, wie wir das alles schaffen können. Als mich eine Mitarbeiterin bei einer Teambesprechung etwas ganz Banales gefragt hat, bin ich in Tränen ausgebrochen, so groß war der Druck. Plötzlich sagten meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: „Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das!“ Das hat mir gezeigt, dass man es als Geschäftsführerin mit Ehrlichkeit am weitesten bringt und auch Verantwortung abgeben kann. Das war ein prägendes Erlebnis und es freut mich riesig, dass wir gut durch diese Zeit gekommen sind. 

Lesungen, Treffen wie „Buchgenuss nach Ladenschluss“, Buchautomaten … „Meritas by Melanie Hofinger“ ist für Kreativität bekannt. Worauf darf man sich als Nächstes freuen?
„Buchgenuss nach Ladenschluss“ habe ich entwickelt, weil ich viele Freundinnen habe, die bis 18 Uhr arbeiten und danach kaum einkaufen gehen können. Bei diesen Treffen kann eine Gruppe die Buchhandlung am Abend mieten und bei Prosecco, Wein, Traubensaft und Brötchen in Büchern schmökern, sich austauschen und einkaufen. Als Unternehmerin muss man mit der Zeit gehen und sich darauf einstellen, was die Menschen brauchen. In Sachen Neuerungen überlegen wir, Firmenbibliotheken einzuführen, wo sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines Unternehmens, wie in einer Stadtbibliothek, Bücher ausleihen können. Aktuell arbeiten wir an einer App mit einem Abomodell. 

Sie sind auch im Vorstand der gemeinnützigen Initiative „Forum Humanismus Wilhering“, die sich zum Ziel gesetzt hat, gemeinsam – im Sinne eines modernen Humanismus – Zukunft zu gestalten. Was hat Sie dazu motiviert, sich hier zu engagieren?
Als Pichlingerin, die auch in Willhering einen Wohnsitz hat, waren es vorerst einmal die Menschen, die sich in diesem Forum engagieren. Als man auf mich zukam, merkte ich gleich, dass das das Richtige für mich ist. Denn gerade in dieser turbulenten Zeit, die sich auch technologisch ganz stark im Umbruch befindet, braucht es den Fokus auf die Menschen. Themen wie Digitalisierung und Artificial Intelligence (AI) überfordern uns oder machen Angst.

© Mathias Lauringer

Wie gehen Sie damit um, ich denke nur an ChatGPT?
Ich beschäftige mich mit diesen Themen, frage mich, was sie uns bringen und wo ich diese Instrumente einsetzen kann. ChatGPT spielt bei uns im Unternehmen schon eine Rolle. Wir arbeiten damit bei Texten zum Befüllen unserer Social-Media-Kanäle und ich verwende ihn, wenn ich rasch eine Präsentation brauche. Diese Technik hilft mir beim Formulieren oder Strukturieren, wird aber niemals Emotionen ersetzen, die beim Schreiben wichtig sind. 

Kann Sie AI auch im Handel unterstützen?
Ja, wenn zum Beispiel ein Kunde ins Geschäft kommt und einen bestimmten Autor nachfragt, der aktuell kein neues Buch herausbringt, kann man mittels AI Autoren rausfiltern, die in einem ähnlichen Stil schreiben. Wenn man bedenkt, dass jährlich 10.000 neue Publikationen auf den Markt kommen, ist das schon sehr hilfreich. 

„Meritas“ beliefert 22 Bibliotheken, 47 Schulen und 24 Kindergärten im Raum Oberösterreich sowie über 43 Pfarren in ganz Österreich. Zudem bieten Sie auch im hauseigenen Kerzenatelier personalisierte Kerzen und Geschenke für kirchliche Familienfeste an. Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ja, ich gehe zwar aus zeitlichen Gründen nicht jeden Sonntag in Kirche, bin aber sehr katholisch erzogen worden und finde es ganz wichtig, seinen Glauben zu haben. Er gibt mir Sicherheit und Vertrauen, was ich schon mehrfach privat, wie auch beruflich erlebt habe. 

Sie bieten ein eigenes Magazin an, auf Ihrer Homepage findet man einen Bücherblog und persönliche Buchtipps. Meritas.bymelaniehofinger ist auch auf Instagram, Facebook und TikTok vertreten. Wie wichtig ist es, all diese Kanäle zu bespielen? 
Man muss mit der Zeit gehen. Unsere Social-Media-Kanäle bespielen auch unsere Lehrlinge, die das ganz frei machen können. Damit schafft man es auch, die jungen Menschen zu erreichen. Wir stellen neue Autoren und Autorinnen sowie Neuerscheinungen vor, informieren über unsere Veranstaltungen und natürlich rücken wir auch unsere tollen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Vordergrund. Ich schaue selbst gerne auf die verschiedenen Plattformen, weil man einen guten Überblick bekommt, was die Menschen beschäftigt.  

Wie viel wird beim Verkauf von Büchern online nachgefragt, wie viel im stationären Handel?
Wir haben ungefähr 15 Prozent Online-Umsatz, der Rest wird im Laden gekauft. 

Wie ist das Verhältnis zwischen E-Book und gedrucktem Buch? 
Ich schätze der Marktanteil beim E-Book liegt weltweit bei circa acht Prozent, daher ist es wichtig, auch diese Produkte anzubieten. Wir beraten gerne auch Kunden, die mit dem E-Book zu uns kommen und laden ihnen das Buch auch gleich rauf. Die Debatte, auf welchem Format jemand liest, finde ich befremdlich. Jeder soll selbst entscheiden können, was er lieber mag. Unsere Leistungen liegen in der Beratung und da muss man sich halt was einfallen lassen. 

„Pegasus“, „Unternehmerin des Jahres“ … Sie sind mehrfach ausgezeichnet worden, was bedeuten Ihnen diese Preise und was zeichnet Sie Ihrer Ansicht nach aus? 
Ich bin immer noch überrascht, dass ich so viele Ehrungen bekommen habe. Das freut mich und ich bin auch stolz darauf. Was mich auszeichnet? Ich glaube, dass ich meinen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Kunden authentisch gegenübertrete. Dass ich so bin, wie ich bin.  

Sie beschäftigen 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie ist Ihr Führungsstil?
Sehr flach, oft zu flach. Grundsätzlich sollte jeder Mitarbeiter so sein dürfen, wie er ist. Wir beschäftigen auch Menschen mit Beeinträchtigungen. Ich beurteile Menschen danach, wie sie auftreten und ob sie den Job gut erledigen können. Jeder, der sich bei uns bewirbt, muss ins Unternehmen schnuppern. Wenn er zu uns und zum Team passt, wird er aufgenommen. Ich arbeite lösungsorientiert und bin draufgekommen, dass ich nicht alles alleine stemmen muss, sondern auch Verantwortung abgeben kann. 

Haben Sie es je bereut, sich selbstständig gemacht zu haben?
Nein, aber es ist aufgrund der aktuellen Polykrise schon sehr fordernd. Ich versuche, es nicht als Polykrise zu sehen, sondern als Polychance. Wir gehen positiv in die Zukunft, auch wenn man ab und zu gerne den Kopf in den Sand stecken möchte. Die Zeiten im Handel sind anders als vor fünf Jahren, aber die Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, möchte ich nicht missen. Ich bin eine Teamplayerin und mag es, wenn man gemeinsam etwas bewegen kann, das ist mein Ansporn. 

Ganz oben ist die Luft dünn, zu wem gehen Sie, wenn Sie über Probleme sprechen wollen?
Zu meiner Familie und ich habe auch langjährige Freundinnen und Freunde, die immer noch da sind und alle Höhen und Tiefen meiner Selbstständigkeit kennen. Sie kennen auch noch die alte „Meli“. Diesen Menschen ist vor allem eines wichtig, nämlich, dass es mir gut geht, und sie würden auch im Fall eines Scheiterns immer zu mir stehen. 

Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit? Wobei können Sie am besten abschalten?
Ich fahre viel mit dem Fahrrad, nicht nur in der Freizeit, sondern auch beruflich. Ich liebe es, auf Konzerte zu gehen, bin gerne unter Menschen, mag es aber auch, wenn es ruhiger ist. Wir sind gerne im Burgenland, da kann ich richtig runterkommen.

Die unsichere Wirtschaftslage und die angespannte Situation machen es schwierig, langfristig zu planen. Ich frage Sie trotzdem – wo werden Sie in fünf Jahren stehen? 
Ich möchte in fünf Jahren glücklich sein. Als Kind wollte ich Bundespräsidentin werden, das geht sich in den nächsten fünf Jahren nicht mehr aus (lacht). Aber Spaß beiseite, längerfristig zu planen, ist derzeit schwierig. Ich möchte, dass alle Mitarbeiter, die bei mir in Pension gehen, gut in Pension gehen können. Noch nie hatte man am Arbeitsmarkt so viele Möglichkeiten wie jetzt. Ich bin noch recht jung, vielleicht verspüre ich noch einmal den Drang nach einer Veränderung. Wer weiß?

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